GESCHICHTEN AUS DER NATÜRLICHEN NATUR
Heute: Ein Erlebnis im Forstwald

Revierleiter Schindelhuber


        Am späten Freitagnachmittag, die Dämmerung breitet bereits ihr zerschlissenes Tuch über Laub- und Nadelgehölz, gleitet Revierleiter Schindelhuber mit seinem Harras durch die Gewanne. In den vielen Jahren seiner Tätigkeit als Heger und Pfleger hat sich der Waidmann so manche Eigenheit zugelegt, von der er nicht lassen mag. So führt er beispielsweise stets eine dreizehn Meter lange Meßlatte mit sich, die man ihm einst zum Namenstag überreicht hat. Frag man ihn jedoch nach dem Grund für seine Latte, so schreibt er ihn meist vage der Tatsache zu, daß Revierleiter von je her schon besondere Menschen gewesen sein mögen. Mit verschmitztem Lächeln erinnert er dann oft an Albert Schbleitzer, den Förster von Lahmburg-Ehne, der angeblich bis zu seinem Tode nicht von einem ausgestopften Fischkopf habe lassen können.
        An diesem Freitag nun, zu dieser Stunde, geschieht etwas völlig Ungewöhnliches in Schindelhubers Revier. Jäh bremst er seinen geschwinden Schritt und bleibt aufrecht, starr und reglos stehen. Auch Harras vermeint etwas Seltsames zu spüren und krallt sich hechelnd im Grase fest: es ist wie ein leises und forderndes Ziehen am Schwanz, kaum spürbar eigentlich und doch unnachgiebig.
        Nach einigen schweigsamen Minuten (oder sind es Stunden, Tage, Wochen oder gar Monate?) löst sich der Krampf in einer jähen Gefühlsaufwallung auf. Beide, Hund und Herrchen, blicken einander fragend an. 'Harras,' sagt Schindelhuber schließlich mit bewegter Stimme, 'ich glaube, soeben ist der Zweite Frühling mit zartem Schritt über uns hinweggestiegen !' und wischt sich im Weitergehen die Hose ab.

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